Der ursprüngliche geistige Meister ist Nityananda Prabhu. Er stellt die umfassendste Verkörperung
des guru dar. In der geistigen Welt steht er für das Prinzip des guru-tattva in den ersten vier
Entwicklungsstadien der liebevollen Hingabe, die Stufe der ehelichen Liebe ausgenommen. Die
Entsprechung von Baladeva auf der Stufe des madhurya-rasa ist Ananga Manjari, die Schwester von
Radharani.
Nityanandas Stellung ist sogar höher als die von Baladeva. Warum ist das so? Weil er prema verteilt,
göttliche Liebe. Und was ist prema? Sie ist wertvoller als alle anderen Errungenschaften. Wenn
jemand wirklich göttliche Liebe schenken kann, dann müssen alle anderen ihm untergeordnet sein.
Wenn sogar Krishna unter Mahaprabhu steht, dann muss natürlich auch Balarama hinter Nityananda
zurückstehen. Sie sind einander sehr ähnlich, aber wenn man Grossmut hinzufügt, dann wird
Balarama zu Nityananda. Jener Balarama, der die göttliche Liebe austeilt, der diese bedeutende
Aufgabe vollbringen kann, der ist hier als Nityananda erschienen. Das Fundament auf dem wir
stehen, muss stabil sein. Erst dann sollte das Gebäude darauf errichtet werden. Sonst wird das ganze
Gebilde zusammenbrechen (heno nitai vine bhai radha krsna paite nai). Von Nityananda Prabhu
können wir eine solch stabile Grundlage erhalten.
Eines Tages kam Nityananda Prabhu zu Sri Chaitanya Mahaprabhus Haus in Mayapura.
Mahaprabhus Mutter Sachidevi und Seine Frau Vishnupriya Devi waren ebenfalls anwesend und noch
einige Seiner Verehrer. Da platzte überraschend Nityananda herein und zwar ganz nackt. Es gelang
Mahaprabhu ihm ein Tuch umzuhängen. Aufgrund des Vorfalls war Er vielleicht etwas besorgt
darüber, dass Seine Schüler einen falschen Eindruck von Nityananda Prabhu haben könnten. Um das
zu verhindern, bat Er Nityananda um sein kaupina, sein Lendentuch. Er zerriss es in Stücke und
verteilte diese unter den anwesenden Haushältern, wobei Er sie anwies: "Behaltet ein Stück von
diesem Lendentuch als kavaca, als Amulett, und bindet es mit einer Schnur am Arm fest oder tragt
es um den Hals. Tragt es bitte immer bei euch. Dann werdet ihr sehr bald fähig werden,
Sinneskontrolle zu erlangen."
Nityananda Prabhu kann seine Sinne bis aufs éusserste beherrschen; diese Welt hier, die kennt er
überhaupt nicht. Seine vairagya, die Gleichgültigkeit gegenüber dieser Welt der irdischen
Betriebsamkeit, ist so stark, dass er sogar völlig nackt gleichermassen unter Männern wie Frauen
erscheinen kann. Deshalb wird die Barmherzigkeit von Nityananda Prabhu ein sicheres Fundament
für uns bilden. Und wenn ein sicheres Fundament da ist, dann können wir darauf ein grosses Bauwerk
errichten. Wenn wir an Nityananda glauben, dann kann dieser Glaube jede noch so schwere
Belastung aushalten. Er wird uns nicht im Stich lassen.
Deswegen hat Srila Bhaktivedanta Prabhupada im Westen soviel Wert auf die Hingabe
zu Nityananda gelegt. Zuallererst müssen wir seine Barmherzigkeit erringen. Und danach erst können
wir die Gnade von Radha-Krishna erlangen. Sri Chaitanya Mahaprabhu bedeutet Radha-Krishna (sri
krsna caitanya radha-krsna nahe anya). Zuerst also erringt die Barmherzigkeit von Nityananda
Prabhu, dann die von Gauranga Mahaprabhu und schliesslich die Gnade von Sri Radha-Govinda. In
dieser Reihenfolge müssen wir uns selbst erheben.
Schüler: Wie kann man die Barmherzigkeit von Sri Nityananda erlangen?
Srila Sridhara Maharaja: Jemand, der eine starke Neigung entwickelt, Gauranga zu dienen, Seinem
dhama, Seinem transzendentalen Reich und auch Seinen Dienern, der kann die Barmherzigkeit von
Nityananda Prabhu erlangen. Nityananda ist ganz besonders demjenigen zugetan, der sich vom
gaura-lila angezogen fühlt.
Nityananda Prabhu ging in Bengalen von Tür zu Tür und sagte: "Nimm den Namen von Gauranga!
Dann will ich dein Diener sein. Du kannst mich ganz leicht haben, wenn du nur den Namen von
Gauranga annimmst. Ich werde dann bedingungslos dein Eigentum, ohne dass es dich irgendetwas
kostet." Das war seine Wesensart. Als Sich Mahaprabhu in Puri aufhielt, sandte Er Nityananda
Prabhu nach Bengalen. Und Er gab ihm folgenden Rat mit auf den Weg: "Ausser dir gibt es
niemanden, der in Bengalen Krishnas Heiligen Namen oder den hingebungsvollen Dienst für Krishna
verbreiten könnte. Die Leute dort beschäftigen sich mehr mit der tantrischen Methode und der smrti.
Sie machen zuviel Aufheben um diese unbedeutenden Dinge. Sie sind aufgeblasen und denken, dass
sie alles Wissen erworben hätten. Deshalb ist Bengalen ein schwieriges Feld für Predigtarbeit.
Niemand ausser dir ist imstande, die Menschen dort wachzurütteln. Halte dich fern von den
Angehörigen der höheren Kasten und wende dich mit dem Heiligen Namen Krishnas an das einfache
Volk. Du bist der geeignetste Mann für dieses Werk."
Nityananda Prabhu ging daraufhin nach Bengalen. Aber ohne auch nur den geringsten Versuch zu
machen, die Herrlichkeit des Gottesnamens 'Krishna' zu verkünden, predigte er von Anfang an den
Namen von Gauranga. Nityananda Prabhu erkannte eine gewisse Gefahr darin, zu denken, dass
Krishnas Spiele den irdischen Ausschweifungen, dem Lügen und Stehlen einer entarteten Seele sehr
ähnlich seien. Krishnas Spiele sind ihrem Wesen nach äusserst vertraulich. Es ist sehr schwierig für
die breite Masse die Reinheit des krsna-lila zu verstehen. Sie kann nicht begreifen, dass krsna-lila das
Höchste ist, was man erreichen kann. Nityananda Prabhu erkannte also, dass es schwierig wäre
krsna-lila zu predigen. Stattdessen fand er es einfacher, gaura-lila zu predigen, in dem Krishna
herabgekommen war, um Sich Selbst an die ganze Welt zu deren Nutzen zu verschenken. Gauranga
gleicht einer unerschöpflichen Kraftquelle, die Krishna an alle verteilen will, durchdrungen von
einem unvorstellbar tiefen Mitgefühl und voll der edelsten Liebesempfindungen für die gewöhnlichen
Menschen, ja ausgestattet mit der allerstärksten Zuneigung sogar zu Verbrechern. Nityananda Prabhu
wollte alle in Verbindung mit Gauranga bringen, denn dadurch würde krsna-lila ganz von selbst
innerhalb ihrer Reichweite sein. Deshalb begann er über Gauranga zu predigen und nicht über
Radha-Krishna, wie es ihm Mahaprabhu aufgetragen hatte. Nityananda Prabhu predigte also:
"Verehre Gauranga, sprich nur über Gauranga und singe den Namen von Gauranga" (bhaja gauranga
kaha gauranga, laha gauranga nama).
Im Chaitanya-Bhagavata wird noch ein anderes Beispiel für die Beziehung zwischen Krishna und
Balarama auf der einen, und Gauranga und Nityananda auf der anderen Seite, beschrieben. Sachidevi
hatte einen Traum, in dem Krishna und Balarama auf einem Thron sassen und Nityananda mit
Balarama kämpfte: "Komm herunter von deinem Thron. Die Zeit des dvapara-yuga ist um. Das
Zeitalter des kali ist gekommen und mein Gebieter, Gauranga, muss jetzt deine Position auf diesem
Thron einnehmen. Komm also herunter!" Balarama fing an, sich zu verteidigen: "Nein, warum
sollten wir heruntersteigen? Wir sind doch die ganze Zeit auf diesem Thron gesessen." Da begann
Nityananda Prabhu ihn mit Gewalt vom Thron zu zerren, und schliesslich gab Balarama nach.
Nityananda Prabhu sagte: "Mein Herr Gauranga will jetzt diese Position einnehmen. Die Zeit für Ihn
ist jetzt gekommen." Nityananda zeigt also eine besondere Vorliebe für Gauranga. Er sagt: "Krishna
ist weit weg. Mein Gebieter ist Gauranga."
Wir müssen also Nityananda Prabhu sehr dankbar sein, denn er ist unser guru. Und die
Barmherzigkeit des guru ist so wichtig, dass Ragunatha Dasa Goswami betet: "Oh Radharani, schenk
mir Deine Barmherzigkeit. Krishna allein ohne Dich will ich nicht haben. Niemals möchte ich
Krishna ohne Dich haben." So sollte die gesunde Haltung eines Gottgeweihten aussehen. Srila
Vishvanatha Chakravarti Thakura erklärt das in seinem Gurvastakam so:
"Ich verbeuge mich vor den Lotosfüssen von sri gurudeva. Durch seine Barmherzigkeit allein
erlangen wir die Gnade von Krishna. Deshalb sollten wir immer über sri gurudeva meditieren und
um seine Barmherzigkeit bitten."
Das ist die Stellung von sri guru, durch dessen Barmherzigkeit wir alles bekommen können. Durch
ihn erlangen wir die Gnade von Krishna, und ohne diese Barmherzigkeit haben wir nichts mehr zu
erwarten. Deshalb müssen wir dem, der uns als erster mit dem Krishna-Bewusstsein in Verbindung
gebracht hat, unsere Ehrerbietung entgegenbringen.
Aber in dem Augenblick, in dem wir gurudeva unsere Ehrerbietung darbringen, dürfen wir uns nicht
vorstellen, dass der guru eine Puppe, eine leblose Figur sei. Wir dürfen uns nicht davon irreführen
lassen, dass wir mit einer bestimmten Person vertraut sind und diese als unseren guru ansehen. Denn
das Wichtigste an ihm ist das, was er sagt, seine Anweisungen. Das ist es, was uns tief im Herzen
anzieht. Ich bin nicht dieser Körper. Ich bin der Suchende. Das, was mich befriedigt, was den
Suchenden zum Wissenden hinzieht, das muss ich in ihm aufspüren. Ich darf mich nicht auf materielle
Überlegungen verlassen. Ich bin nicht dieser Körper. Wer aber bin ich, dieser Schüler, wirklich?
Bestehe ich nur aus diesem Körper, dieser Gestalt, dieser Hautfarbe und gehöre dieser bestimmten
Gesellschaftsschicht an? Oder bin ich etwa diese Veranlagung, diese Gelehrsamkeit oder diese
intellektuelle Fähigkeit? Nein! Ich bin derjenige, der gekommen ist, um zu suchen. Wer ist die
wirkliche Persönlichkeit in mir und wer ist die wirkliche Persönlichkeit im guru? Dessen müssen wir
uns vollständig bewusst werden. Was ist dieses innere Wesen? Deswegen bin ich hergekommen. Wir
müssen uns unseres eigenen Interesses gewahr werden.
Es gibt das relative Prinzip und das absolute Prinzip. Wir werden die äussere Form ausschalten
müssen, sie nicht länger beachten dürfen; wir werden immer das Geistige bewahren müssen.
Andernfalls werden wir zu blossen Formverehrern, zu Götzendienern.
Selbstverständlich heisst es, dass die Verbindung mit dem guru ewig währt (caksundana dilo yei,
janme janme prabhu sei). Aber wir dürfen unseren guru nicht mit der Erscheinung gleichsetzen, die
wir durch unsere physischen Sinne wahrnehmen. Unsere innere Erkenntnis von ihm wird in dem
Mass klarer werden, in dem unsere visionäre Sehfähigkeit wächst. Wenn unsere Sehergabe zunimmt
und sich von einer materiellen Sichtweise in eine transzendentale wandelt, dann wird sich auch seine
Erscheinung entsprechend verändern.
Man erkennt einen Menschen meistens an seinem Äusseren,
zuerst an seiner Uniform, dann an seinem Körper, seinem Verstand oder seiner Intelligenz. In dem
Mass, wie sich unser Blick dahin entwickelt, die Dinge in der richtigen Weise zu sehen, wird auch
all das, was wir sehen, seine äussere Erscheinung verändern.
Krishna sagt: "Letztendlich bin Ich
allein der guru", (acaryam mam vijaniyam). Das ist die Art, in der Gott wirkt, und auf verschiedenen
Stufen kann Er auch verschiedene Formen annehmen. Verschiedene acaryas können zur gleichen Zeit
wirken.
Das Wissen, das Ideal - es entwickelt sich vom Groben zum Feinen. Und je tiefer das Auge zu
schauen vermag, desto deutlicher werden sich ihm die unterschiedlichen Gestalten der einzelnen
acaryas enthüllen. Das wird uns durch einen allmählichen Prozess der Verwirklichung durch
verschiedene rasas bis hinauf zur höchsten Stufe führen. Anderenfalls wird unser Wissen nur auf der
materiellen Vorstellung beruhen. Und es ist ein Verbrechen, es ist tiefste Unwissenheit, und es ist
völlig falsch, wenn man Gott in eine materielle Vorstellung hineinzupressen sucht.
Wir müssen uns aus der Falle befreien, in der wir die Wirklichkeit gleichsetzen mit der körperlichen
Form, die sich unseren Sinnen darbietet. Die Augen täuschen uns; sie können uns die eigentliche
Form oder Farbe nicht zeigen. Die Ohren lassen uns den eigentlichen Klang nicht hören. Die
konkrete Wirklichkeit liegt jenseits der Erfahrung unserer Sinne. Worum geht es also in
Wirklichkeit? Eben weil wir uns in einem solch niedrigen Zustand befinden, können wir nur mit der
Hilfe unseres guru dorthin, zu dieser inneren Welt gelangen.
Aber wie können wir unseren guru erkennen? Trägt er doch im Winter und im Sommer jeweils ganz
andere Kleidung. Wenn wir nun der äusseren Aufmachung soviel Bedeutung beimessen, was sollen
wir dann tun? Sollen wir denken, dass dieses Gewand für den Körper unentbehrlich ist? Der guru
kann in einer ganz bestimmten Gestalt zu uns kommen. Stell dir vor, er kommt als junger Mann.
Wenn aus ihm dann ein alter Mann geworden ist und die jugendliche Gestalt sich gewandelt hat, wie
können wir ihn dann wiedererkennen? Wie können wir da einen Unterschied machen? Und um es
noch einmal zu sagen: in einem Leben kann er in einem ganz bestimmten Körper herabkommen, und
zu einer anderen Zeit kann er in einem gänzlich verschiedenen Körper erscheinen. Der gleiche guru
kann zu verschiedenen Zeiten ganz unterschiedlich in Erscheinung treten. Wie aber sollen wir ihn
dann erkennen? Dazu müssen wir von der äusseren zur inneren Betrachtungsweise übergehen.
Wenn ich ganz ohne Fleisch und Blut bin und nur in einem feinstofflichen Körper existiere, dann
werde ich meinen guru auch in einem solch feinstofflichen Körper finden. Die Halbgötter,
gandharvas und siddhas, die reinen Wesen auf den himmlischen Planeten, haben auch ihre gurus,
aber da sie selbst keinen grobstofflichen Körper besitzen, hat auch ihr guru keinen solchen.
Indem wir also die äussere Vorstellung ausschliessen, müssen wir uns auf die innere Idee einlassen,
und das ist für den Fortschritt des Schülers von allergrösster Wichtigkeit. Das bedeutet nicht, dass man
der körperlichen Gestalt seines guru keine Beachtung schenken sollte. Aber die wirkliche Bedeutung
liegt in seinem inneren Wesen. Wir müssen die Dinge verehren, die von guru erhalten geblieben
sind, seinen Mantel, seine Stiefel, seine Sandalen. Das bedeutet aber nicht, dass sein Schuh mehr wert
ist als sein Körper. Wir müssen seiner Person dienen. Ganz ähnlich verhält es sich, wenn wir ihm
gern einen persönlichen Dienst leisten wollen, ihm zum Beispiel die Füsse massieren, er das aber gar
nicht wünscht und sagt: "Nein lass das." Was sollen wir dann tun? Da muss unser innerer Gehorsam
ihm gegenüber stärker sein. Auf diese Weise müssen wir vom Groben zum Feinen fortschreiten.
Wer ist guru? Wo kann ich ihn finden? Was ist sein höchstes Ideal? Was soll ich seinem Wunsch
nach wirklich tun? Über all diese Fragen dürfen wir nicht hinweggehen. Wir dürfen ihm nicht
einfach nur eine formale Anhänglichkeit entgegenbringen. Was wir wollen ist der geistige Weg. Der
spirituelle Mensch geht zur spirituellen Welt, um spirituelle Verwirklichung zu erlangen. Das ganze
ist ein spiritueller Vorgang. Und alle irdischen Vorstellungen, ob körperlicher, gedanklicher oder
vernunftmässiger Art, sollten auf unserer Reise beseitigt werden, wenn wir zu dieser inneren Welt der
eigentlichen Wirklichkeit gelangen wollen.
Diese Haltung wird über unseren wirklichen Fortschritt
und unsere tatsächliche Lebensgestaltung entscheiden. Die Erfüllung kommt immer aus dem Inneren.
Wer diesen Faden in die Hand bekommt, der kann vorankommen und die Dinge von jener höheren,
spirituellen Qualität erlangen. Wir mögen die wunderschöne Gestalt unseres geistigen Meisters
schätzen, seine Lebensart, seine Bewegungen und seine intellektuelle Art zu reden und vielleicht auch
noch eine ganze Menge anderer Dinge. Was aber sollte der eigentliche Brennpunkt unserer
Verwirklichung sein? Was sollte unser höchstes Ziel sein, für das wir alles andere aufgeben würden?
Fortschritt bedeutet einen Prozess des Zurückweisens und Annehmens. Unser spirituelles Leben muss
immer dynamisch bleiben, sonst sind wir so gut wie tot. Fortschritt bedeutet die Fähigkeit, zu
unterscheiden und auszuwählen. Auch die Wissenschaftler stellen das in ihrer Theorie von der
natürlichen Auslese fest; sie nennen das : "Nur der Stärkste überlebt." Die Natur wählt das eine aus
und beseitigt das andere. Leben ist voller innerer Kraft; wir leben in einer dynamischen Welt.
Überall finden wir den gleichen Prozess: Annahme und Zurückweisung. Das ist Fortschritt. Unser
Leben muss sich immer weiter entwickeln, darf nicht stehen bleiben.
Um die Barmherzigkeit von Nityananda Prabhu zu erlangen sollten wir versuchen, so genau wie
möglich das Wesen von Sri Gauranga Mahaprabhu zu studieren und Ihm, Seinem dhama und Seinen
Geweihten zu dienen. Das wird uns ganz leicht dazu verhelfen, die Barmherzigkeit von Nityananda
Prabhu zu erlangen. Und natürlich wird es in unserem gegenwärtigen Stadium immer eine Menge
praktischer Dinge zu tun geben; aber trotzdem müssen wir immer das höchste Ideal vor Augen
haben. Mit diesem Ideal vor Augen werden wir fähig sein, Fortschritte zu machen. Unsere
Idealvorstellung, unser grösstes Vorbild, das ist alles, was wir in diesem Leben haben. Es stellt den
grössten Reichtum im Leben dar, wenn man mit der Vorstellung vom höchsten Ideal vertraut ist und
sich auf dem Weg befindet, dieses Ziel zu verwirklichen.
Srila Raghunatha Dasa Goswami betet: "Ich strebe nur nach einer einzigen Sache. Ich hege die
Hoffnung, dass ich eines Tages auf der Ebene willkommen geheissen werde, wo Sich Radhika und
Madhava in Ihrer Herrlichkeit aufhalten, beieinander sitzen und Ihre Spiele entfalten." Das sollte
unsere Erwartung sein. Diese Haltung findet sich auch in Ragunatha Dasa Goswamis Gebet an seinen
guru. Dort heisst es:
"Ich stehe tief in der Schuld von sri gurudeva. Warum? Er hat mir so viele Dinge gegeben. Er hat
mir die höchste Vorstellung von Krishnas Heiligem Namen geschenkt, die reinste Form von Klang,
die einfach alles in sich birgt: die höchste Form des Denkens, der Hoffnung, des Ideals. Und dazu
hat er mir auch noch das mantra gegeben."
Im mantra ist der Name enthalten. Ohne den Namen ist das mantra wertlos. Wenn man Krishnas
Namen wegnimmt und Ihn durch irgendeinen anderen Namen ersetzt, dann wird das mantra genau
die entgegengesetzte Wirkung zeigen. Krishnas Name ist das Ein und Alles. Und in das mantra ist
auf eine ganz besondere Weise der Name wie eine Art Gebet eingebettet.
Und weiter betet er: "Er hat mir den Dienst für diesen grossen Erlöser geschenkt, Sri Chaitanya
Mahaprabhu, den Sohn von Mutter Sachi, der wie ein goldener Berg aufragt, um die Richtung zum
krsna-lila zu weisen. Und gurudeva hat mich zu den Lotosfüssen von Svarupa Damodara gebracht,
dem liebsten und vertrautesten Diener von Mahaprabhu, der die Verkörperung von Lalita Devi ist,
der liebsten Freundin von Radhika. Und darüber hinaus hat er mich mit Sri Rupa in Verbindung
gebracht, der beauftragt war rasa zu verteilen, die hingebungsvolle Liebe in ihren höchsten
Erscheinungsweisen."
Vaidhi bhakti, die Anbetung des Herrn in ehrfürchtiger Scheu und respektvoller Verehrung, ist von
geringerer Art. Aber Srila Rupa Goswami verteilte raganuga-bhakti, die spontane Liebe, die
Ausdruck der tiefsten Herzensregungen ist. Mahaprabhu hielt Sri Rupa für am besten geeignet, sich
mit raganuga-bhakti zu befassen.
Ragunatha Dasa Goswami sagt weiter: "Und dann habe ich durch seine Barmherzigkeit die
Gemeinschaft mit Srila Sanatana Goswami erlangt, der unsere innere Einstellung ins rechte Verhältnis
zu raganuga-bhakti bringt. Er erklärt uns den Pfad des vaidhi-bhakti und gibt uns sambandha-jnana,
das Wissen um die wahre Bedeutung der Dinge, das Wissen, wie wir mit unserer Umwelt in der
rechten Weise umgehen." Weiter sagt er: "gurudeva hat mir Mathura Mandala geschenkt, wo Radha
und Govinda in transzendentale Spiele versunken sind. Wo Wald und Hügel, jede Kletterpflanze,
jeder Strauch, und jedes Sandkorn, ja jedes Lebewesen ganz tief mit dem radha-krsna-lila vertraut
ist. Und wohin auch immer ich meinen Blick richte, wird all das mir helfen, mich an Radha und
Govinda zu erinnern. Das habe ich von meinem gurudeva empfangen: Vrindavan, das Dorf, in dem
die Kühe und die Hirten leben. Ich werde immer vertrauter mit ihrer Gemeinschaft, ihrem Wesen
und ihren tiefen Gefühlen der Liebe zu Krishna.
Durch die Barmherzigkeit von gurudeva habe ich den Radha-Kunda-See kennengelernt, den
Lieblingsplatz von Radha und Govinda, und auch diesen grossartigen Govardhana Hügel. Und zuletzt
hat er mir Hoffnung gemacht, dass ich vielleicht eines Tages den Dienst für Sri Sri Radhika und
Madhava erlangen kann. Mein gurudeva hat mir diese tiefe Zuversicht ins Herz gesenkt, und
deswegen verbeuge ich mich mit all meiner Ehrerbietung vor seinen Lotosfüssen."
Wenn wir uns all dieser spirituellen Dinge bewusst sind, dann dürfen wir denken, dass wir uns
unserem gurudeva in der rechten Weise zugewendet haben. Wer ist unser guru? Was ist seine
Aufgabe? Sie ist voll von diesen Dingen. Wenn es das alles nicht gäbe, was könnte uns dann noch
interessieren?